Tatsächlich ist der Gedanke des selbstheilenden Betons schon sehr alt, seine Vorläufer reichen bis in die Zeit der Antike zurück. So wurden bereits Reiskörner in den Beton der Chinesischen Mauer gemischt, um diese widerstandsfähiger zu machen – und das erfolgreich. Und auch die Römer suchten nach Wegen, Beton für ihre Häuser und Aquädukte rissfrei zu halten – ebenfalls mit Erfolg.
Damals nutzten die Römer für den Zement Branntkalk, um Risse im Beton zu bekämpfen. Der oft als „Beton der Römer“ bezeichnete Baustoff macht sich dabei eine chemische Reaktion zunutze. Denn sobald der Branntkalk bei Hitze mit Wasser in Berührung kommt, bildet er Calciumcarbonat – also Kalkstein, der Risse wieder schließt.
Bei modernen Versionen des Römerbetons werden Bakterien wie Sporosarcina pasteurii eingesetzt. Sobald sie mit Wasser in Berührung kommen, produzieren sie auf natürliche Weise Kalkstein. Dieser Vorgang wird auch als Biomineralisation bezeichnet und kann kleine Risse wieder verschließen – so entsteht der selbstheilende Beton.
Das Problem mit den Bakterien ist, dass diese nicht einfach dem Zement beigemischt werden können, denn sonst würden sie sofort im feuchten Zement reagieren und Kalk produzieren. Daher werden die Bakterien beispielsweise in Lehm eingeschlossen, sodass sie erst bei einem Riss im Beton aufplatzen und dann reagieren.
Selbstheilender Beton bietet zahlreiche Vorteile gegenüber herkömmlichem Beton. Im Folgenden sind sie im Detail erklärt:
1. Verlängerung der Lebensdauer
Durch die selbstständige Schließung von Rissen wird verhindert, dass Feuchtigkeit oder andere Umwelteinflüsse tief in den Beton eindringen und die Stabilität beeinträchtigen. Dies reduziert langfristige Schäden und sorgt für eine längere Haltbarkeit der Bauwerke.
2. Ideal für schwer erreichbare Orte
An schwer zugänglichen Bauwerken wie Brücken oder Unterwassertunneln sind Reparaturen oft aufwendig und teuer. Dank der Fähigkeit zur Selbstreparatur entfällt mit selbstheilendem Beton ein Großteil der regelmäßigen Instandhaltungsarbeiten. Dies führt nicht nur zu Zeitersparnis, sondern erhöht auch die Effizienz im Bauwesen.
3. Geringere Kosten
Trotz größerer Initialkosten amortisiert sich der Einsatz von selbstheilendem Beton über die Jahre. Denn weniger Reparaturen, längere Nutzungsdauer und ein reduzierter Wartungsbedarf senken die Kosten von Bauwerken langfristig.
Herkömmlicher Beton besteht größtenteils aus natürlichen Rohstoffen wie Sand, Kies und Wasser. Dies ist grundlegend eine positive Ausgangsbasis, jedoch sind zum einen die Rohstoffe nicht unendlich verfügbar und zum anderen wird bei der Herstellung von Zement eine Menge Energie benötigt – sie ist ein großer Faktor bei den Treibhausgasemissionen.
In der Produktion ist das zwar für den selbstheilenden Beton ähnlich. Der große Vorteil vom selbstheilenden Beton ist jedoch, dass Mikroorganismen Risse eigenständig wieder schließen können. Dadurch verlängert sich die Lebensdauer der Bauwerke, es entstehen weniger Kosten und es wird insgesamt weniger Beton benötigt, was die Emissionen langfristig senkt.
Lebender Beton
Etwas anders als der selbstheilende Beton ist lebendiger Beton, der mithilfe von den Bakterien Bacillus cohnii entsteht. Diese sind für Menschen ungefährlich, können Jahrhunderte überdauern und reagieren ebenfalls mit Wasser. Die Bakterien vermehren sich relativ schnell und produzieren selbstständig Kalksteine. Das Besondere beim lebenden Beton ist, dass die Bakterien Fotosynthese betreiben. Das heißt, dass sie nicht nur Kalkstein produzieren, sondern auch Kohlenstoffdioxid aufnehmen und so Emissionen verringern.
Recycling-Beton
Aufgrund von Ressourcenknappheit im Bauwesen wird hin und wieder auch Betonrecycling betrieben und ehemals verwendeter Beton wiederverwendet. Dieser sogenannte R-Beton wird aus dem Bauschutt gewonnen und erneut mit Wasser und Zement angereichert. Auf diese Weise wird ein erheblicher Prozentsatz des alten Betons wiederverwendet.
Tipp: Ein weiterer Gedanke für einen nachhaltigeren Rohstoffkreislauf beim Bauen ist das Urban Mining. Dabei wird schon vor dem Bau geplant, was mit den verwendeten Rohstoffen passiert.
Höhere Temperatur
Keine neue Variante, aber eine womöglich effizientere Methode könnte es sein, die Temperatur bei der Kristallbildung von selbstheilendem Beton zu erhöhen. Denn in der Regel entsteht Calciumcarbonat bei 20 °C und dauert einige Tage. Bei höherer Temperatur könnte der Vorgang deutlich beschleunigt und effizienter werden.
Neue Mischmethoden
In der Stadt Soltau hat die Firma Bton die Emissionen bei der Betonherstellung mehr als halbiert. Dank ihres Mischturms mit innovativer Zwei-Phasen-Mischung wird deutlich weniger Klinker benötigt, der für den Großteil des CO2-Ausstoßes bei der Betonherstellung verantwortlich ist. Ebenso soll auf diese Weise ansonsten ungeeigneter Wüstensand genutzt werden können, was Kosten reduziert und den Beton leichter macht.
Betonhäuser dank 3D-Druck
Eine Ersatzmöglichkeit wären Bauwerke aus dem 3D-Drucker. Der dafür produzierte Beton erzeugt wesentlich weniger Kohlenstoffdioxid als Beton in anderen Verfahrensarten. Es ist auch denkbar, dass der Einsatz von Druckern in bestimmten Fällen bei Fachkräftemangel auf dem Bau Abhilfe schafft. Die Möglichkeiten dieser innovativen Technologie werden sich in Zukunft noch klarer herauskristallisieren, sind aber grundsätzlich schon heute vorhanden.
Der großflächige Einsatz vom selbstheilenden Beton scheitert derzeit vor allem noch an Prüf- und Zulassungsverfahren. Denn im sicherheitskritischen Bauwesen herrschen strenge Normen und Vorschriften. Aber mit fortschreitender Forschung und sich weiterentwickelnden Anwendungstechniken könnte der selbstheilende Beton in den kommenden Jahren eine zunehmend wichtige Rolle für die Baupraxis bekommen.
* Wir leben Diversität und heißen alle Menschen willkommen, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Behinderung und Identität. Wir sind davon überzeugt, dass uns Vielfalt bereichert und im gemeinsamen Arbeiten voranbringt. Deshalb haben wir 2017 die Charta der Vielfalt unterzeichnet.